CCBot/2.0 (https://commoncrawl.org/faq/)
Info-Magazin für Energiesparer & mehr
Strom

Ungleiche Stromkosten: Nord- und Süddeutschland streiten um Netzentgelte

20. September 2023

von Michel Vo

Ungefähr 30 Cent pro Kilowattstunde müssen Verbraucher aktuell für Strom bezahlen, im Vorjahr lag der Strompreis sogar weit jenseits der 40-Cent-Grenze. Fast 10 Cent davon entfallen auf Netzentgelte, doch die genaue Höhe dieser Netznutzungsgebühren ist nicht einheitlich, sondern unterscheidet sich je nach Region.

Gerade Bundesländer im Norden und Osten Deutschlands müssen höhere Netzentgelte entrichten als ihre südlichen Nachbarn. Damit soll nun Schluss sein, zahlreiche Politiker und auch die Bundesnetzagentur plädieren für mehr Verteilungsgerechtigkeit. Damit rennen sie aber nicht nur offene Türen ein, gerade Bayern und Baden-Württemberg wehren sich lautstark gegen die Pläne. Ein immer wieder aufkeimender Regionalstreit um die Netzentgelte ist in den letzten Monaten wieder aufgebrodelt – Ausgang offen. Wir erklären Ihnen hier alle Hintergründe.

Was sind Netzentgelte eigentlich?

Der Strompreis setzt sich im Allgemeinen aus drei Komponenten zusammen: Das sind einerseits die Kosten für die Beschaffung und den Vertrieb des Stroms, andererseits die anfallenden Steuern und Abgaben, und zuletzt die Netznutzungsentgelte, kurz Netzentgelte. 2023 liegen diese laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bei durchschnittlich 9,52 ct/kWh. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 2022 (8,08 ct/kWh) und 2021 (7,80 ct/kWh).

Bei den Netzentgelten handelt es sich um eine Gebühr, die für die Nutzung des Stromnetzes entrichtet wird. Sie lassen sich in gewisser Weise mit dem Porto für eine Postsendung vergleichen – die Kosten fallen für den Transport der Ware an (in diesem Fall Strom), und zwar unabhängig von der zurückgelegten Entfernung.

Genauso wie beim Briefporto ist auch die Höhe der Netzentgelte nicht durch freien Wettbewerb bestimmt, denn Energienetze sind natürliche Monopole, wodurch sie staatlich reguliert werden. Der exakte Wert richtet sich danach, welche Kosten für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau des Netzes im jeweiligen Einzugsgebiet notwendig sind. Die sich hieraus ergebenden Netzentgelte sind dann Teil der Stromrechnung, Verbraucher haben keine Wahlfreiheit und entrichten sie automatisch an ihren Versorger, der sie dann an den Netzbetreiber weiterleitet.

In Deutschland gibt es zwei Arten von Netzbetreibern: Sogenannte Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) betreiben die Hochspannungsnetze und sind für den überregionalen Transport verantwortlich; hierzulande gibt es momentan vier solcher Übertragungsnetzbetreiber (50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW). Den ÜNB sind dann die sogenannten Verteilnetzbetreiber (VNB) nachgeschaltet, sie transportieren den Strom dann letztlich auf regionaler Ebene zum Endkunden. Zurzeit gibt es insgesamt über 850 verschiedene VNB.

Netzentgelte müssen sowohl an die ÜNB als auch an die VNB bezahlt werden, auch die Netznutzungsgebühren teilen sich also eigentlich in zwei Teile auf.

Trotz steigender Netzentgelte gibt es momentan dennoch wieder zahlreiche günstige Tarifoptionen auf dem Markt. Überprüfen Sie mit unserem Preisrechner in nur wenigen Klicks, ob es auch für Sie eine bessere Alternative gibt!

Darum zahlt der Norden mehr als der Süden

Lange Zeit waren die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber uneinheitlich, jeder der vier ÜNB legte einen eigenen Preis für sein Einzugsgebiet fest. Diese Praktik wurde allgemein kritisiert, denn dadurch ergaben sich zum Teil immense regionale Unterschiede. 2018 wurde deshalb mit dem Netzentgeltmodernisierungsgesetz (NEMoG) die bundesweite Angleichung der Übertragungsnetzentgelte beschlossen, 2023 trat die Änderung schließlich in Kraft. Dieses Jahr zahlen alle Verbraucher auf Übertragungsnetzebene 3,12 ct/kWh.

Während die unterschiedlichen Netzentgelte an Übertragungsnetzbetreiber also Vergangenheit sind, besteht das Problem aber weiterhin bei den Verteilnetzbetreibern (VNB). Wie hoch die Netzentgelte auf dieser Ebene ausfallen, hängt letztlich davon ab, wie viele Kosten für den Betrieb und die Erweiterung des Stromnetzes in der jeweiligen Region nötig sind. Östliche Bundesländer waren deswegen beispielsweise lange Zeit benachteiligt, denn dort waren deutlich höhere Investitionen in neue Leitungen erforderlich.

Auch heute noch sind die Netzentgelte im Osten höher als im Westen, das liegt aber vor allem auch an einer geringen Bevölkerungsdichte und wenigen Industrieabnehmern. Dadurch werden die Netzentgelte auf weniger Endkunden verteilt, Einwohner in ländlichen Regionen müssen dann mit höheren Stromkosten rechnen. Nicht ohne Zufall hat der Stadtstaat Bremen die niedrigsten Netzentgelte zu verzeichnen, verhältnismäßig günstige Netznutzungsgebühren gibt es zudem unter anderem in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen.

Ganz oben in der Rangliste stehen hingegen Brandenburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Nördliche Bundesländer haben tendenziell höhere Netzentgelte – der Hauptgrund dafür ist ausgerechnet die Energiewende, denn ein Großteil der Windenergie wird im Norden der Bundesrepublik gewonnen. Das liegt auch daran, dass sich küstennahe Gebiete im Besonderen für die Nutzung von Windrädern eignen, aber nicht nur.

Im Allgemeinen wird in Deutschland immer mehr Strom mittels Wind- und Solarkraft erzeugt, gerade im Norden werden deutlich mehr Windräder gebaut als im Süden. Der zusätzlich durch erneuerbare Energiequellen erzeugte Strom muss aber erst ins Netz eingespeist werden, ehe er genutzt werden kann, weswegen beträchtliche Investitionen in die Netzinfrastruktur notwendig sind. Diese Kosten schlagen sich dann bei den Netzentgelten nieder. Resultat: Gebiete in Norddeutschland haben höhere Netznutzungsgebühren als ihre südlichen Nachbarn.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Netzkapazitäten trotz Leitungsausbau vielerorts dennoch nicht mit dem Ausbau erneuerbarer Energien Schritt halten, zu schnell geht die Installation von Wind- und Solarkraftwerken voran. In solchen Fällen muss der Netzbetreiber mitunter erneuerbare Erzeuger vom Netz abregeln, um eine Überlastung des Systems zu verhindern und die Netzstabilität zu gewährleisten. Dieser entschädigungspflichtige Vorgang ist als Einspeisemanagement (EinsMan) bekannt und treibt die Netzentgelte zusätzlich in die Höhe. Darunter leiden dann abermals vor allem solche Regionen, die verstärkt in erneuerbare Energie investieren.

Wie geht es weiter?

Die Ungleichheit bei den Netzentgelten wollen die betroffenen Bundesländer nicht mehr hinnehmen. Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer äußert etwa: „Es kann nicht akzeptabel sein, dass wir bestraft werden, weil wir Solar- und Windenergieanlagen integrieren. Das ist einfach nicht fair.“ In eine ähnliche Kerbe schlägt sein schleswig-holsteinischer Amtskollege Tobias Goldschmidt: „Für mich ist ärgerlich, dass wir für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze, die unser Land schon heute ganz stark verändern, die Zeche zahlen müssen. Wir müssen die Netze hier selbst zahlen, obwohl sie dazu dienen, dass ganz Deutschland mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann.“

Ähnliche O-Töne gibt es etwa auch aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt, sogar die Landespräsidenten haben sich schon in die Debatte eingeschaltet. Dietmar Woidke (Brandenburg) betont: „Wir können und wollen auch nicht unsere erneuerbaren Energien einfach nach Süden durchschicken.“ Aktuell bezieht Süddeutschland einen Teil seines Stroms aus dem Norden. Bei den angesprochenen Bundesländern formiert sich allerdings zum Teil großer Widerstand, vor allem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder lehnt die Pläne strikt ab und droht mit der Aufkündigung des Länderfinanzausgleichs.

Eine aktuell diskutierte Lösung der Strompreisproblematik ist die Einführung zweier unterschiedlicher Strompreiszonen, doch gerade hiergegen wehrt sich Söder vehement. Das Ende einer einheitlichen Wirtschaftsordnung bedeute dann, „dass Baden-Württemberg und Bayern sich dann davon abkoppeln müssen und auch den Strom aus dem Norden nicht mehr beziehen“. Stattdessen könne sein Bundesland seine Energie auch aus Österreich und Tschechien beziehen. Eine andere Alternative ist die Umlage der Kosten für den Ausbau von erneuerbaren Energiequellen, hierfür zeigt sich auch der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger offen.

Klar scheint aktuell aber, dass das derzeitige Netzentgeltmodell ausgedient hat. Ähnlich wie auf Übertragungsnetzebene dürften mittelfristig auch die Verteilnetzentgelte regional fairer gestaltet werden, so will es ebenfalls die Bundesnetzagentur. Präsident Klaus Müller spricht von einem „historisch gewachsenen System“, welches nun reformiert werden solle. Auch Bundeswirtschaftsminister Habeck will die ungleiche Lastenverteilung schnellstmöglich beenden: „Diejenigen, die erneuerbare Energien ausbauen, sollen nicht höhere Netzentgelte bezahlen als diejenigen, die es nicht tun.“

Wie das genau geschehen wird, dürfte sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Müller sieht die kommende Netzentgeltreform aber doppelt positiv, denn dadurch würde nicht nur größere Verteilungsgerechtigkeit geschaffen, sondern gleichzeitig auch ein Anreiz erzeugt, um stärker in regenerative Energien zu investieren: „Es liegt auf der Hand, dass wir den Erneuerbaren-Ausbau belohnen sollten.“

?>