Im Rahmen des Wachstumspakets für die Wirtschaft hat sich die Bundesregierung bereits im Februar 2024 auf eine Kraftwerksstrategie geeinigt. Das in diesem Zuge ausgearbeitete Optionenpapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wurde schließlich im August 2024 überarbeitet veröffentlicht. Darin beschreibt das BMWK die Anforderungen an das deutsche Stromsystem vor dem Hintergrund der variablen Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie und stellt Möglichkeiten vor, diese Herausforderungen zu bewältigen. Der Fokus liegt dabei auf der Einführung eines Kapazitätsmarktes in Deutschland, um den bisherigen Energy-Only-Markt zu ersetzen.
Bereits im August kritisierte der Wirtschaftsrat der CDU in einen Brief an Wirtschaftsminister Habeck und den Präsidenten der Bundesnetzagentur Klaus Müller, dass die Vorschläge aus dem Optionenpapier den Wirtschaftsstandort Deutschland im europäischen Vergleich schwächen würden. Im September äußerten sich auch Denkfabriken aus dem Energiesektor und Vorstände der Energieunternehmen skeptisch.
Im Optionenpapier des BMWK vom 5. Juli 2024 sind insgesamt 49 Maßnahmen festgehalten, um den Wirtschaftsstandort Deutschland nach den überstandenen Krisen der letzten Jahre zu stärken und attraktiver zu machen. Die Hauptziele des Wachstumspakets umfassen:
Besonders ein leitungsfähiger Energiemarkt ist für das Strommarktdesign der Zukunft relevant. Ziel sei es, einen verlässlichen Investitionsrahmen sowie Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen, mehr Flexibilisierung zu ermöglichen und die Kosten des Netzausbaus zu senken.
Auch Kraftwerke und Erneuerbare Energien sind Teil des Maßnahmenpakets: Bis 2030 soll die Stromversorgung aus 80 Prozent Erneuerbarer Energien bestehen. Ein flexibler Strommarkt sowie dynamische Stromtarife sollen dafür umgesetzt werden, damit Marktteilnehmer von günstigen Strompreisen profitieren können, wenn gerade viel Energie aus Wind und Sonne produziert wird. Ebenfalls Teil des Maßnahmenpakets ist es, bis 2028 einen Kapazitätsmechanismus und ein Kraftwerksicherheitsgesetz einzuführen. Der Kapazitätsmechanismus soll die Versorgungssicherheit über einen einheitlichen Markt gewährleisten, indem Förderungen für Reservekapazitäten ausgeschrieben werden. So versichern Erzeuger, dass sie zu bestimmten Zeiten Strom erzeugen und liefern können und werden dafür vergütet.
Die Bundesregierung plant also, das bisherige System des Energy-Only-Markts durch einen Kapazitätsmarkt zu ersetzen, um auf die Herausforderungen der Erneuerbaren Energien am Strommarkt zu reagieren. Der Energy-Only-Markt zeichnet sich dadurch aus, dass die Erlöse der Energieerzeuger ausschließlich von der tatsächlich gelieferten Energiemenge abhängen. Sie erwirtschaften ihre Gewinne somit ausschließlich durch den Verkauf von Strom an der Energiebörse und durch langfristige Lieferverträge.
Durch Schwankungen der Energiepreise ergibt sich bei Energy-Only-Märkten allerdings das sogenannte Missing-Money-Problem. Energieerzeuger erzielen dabei nicht genügend Einnahmen, um ihre Fixkosten zu decken und den Erhalt und Neubau von Kraftwerken zu finanzieren.
Vorteile | Nachteile |
Markteffizienz | Schwankende Energiepreise |
Kostentransparenz | Braucht ergänzende Reservekapazitäten |
Anreize für Innovationen | Lücken in der Versorgungssicherheit bei erneuerbaren Energien |
Ein Kapazitätsmarkt steht dem Modell eines Energy-Only-Marktes prinzipiell gegenüber, denn dieser vergütet nicht die Lieferung von Strom, sondern die Bereitstellung von Kapazitäten, also die reine Möglichkeit und Fähigkeit, Strom zu erzeugen. In diesem Marktmodell verpflichten sich Stromerzeuger, zu bestimmten Zeiten eine festgelegte Menge Energie bereitzustellen und erhalten dafür eine Vergütung. Die Versorger werden also immer bezahlt, unabhängig davon, ob sie am Ende tatsächlich Strom liefern müssen. Die vorgehaltene Kapazität soll also bewusst die Nachfrage übersteigen, damit die Versorgungssicherheit immer gewährleistet werden kann – auch zu Spitzenlastzeiten.
Sie halten also Kapazitäten bereit, um die Stromversorgung sicherzustellen. Das bedeutet aber nicht, dass sie die vorgehaltenen Kapazitäten auch tatsächlich liefern. Das tun sie nur, wenn es notwendig ist, um die Versorgungssicherheit aufrechtzuhalten. Hierfür soll der Markt auch durch neue Möglichkeiten der Strombereitstellung ergänzt werden, zum Beispiel durch Laufwasserkraftwerke, Pumpspeicher, Batteriespeicher, Bioenergieanlagen und weitere Back-Up-Kraftwerke und Speicher. Dafür sollen bereits in diesem Jahr neue Kraftwerke ausgeschrieben werden. Das BMWK hat in Diskussionen mit der Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) die folgenden vier Handlungsfelder ausgemacht:
Die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien soll nach und nach immer mehr in den Strommarkt integriert werden. Hierfür wird ein gesicherter Investitionsrahmen benötigt. Während es aktuell noch eine gleitende Marktprämie für den Ausbau Erneuerbarer Energien gibt, muss ab 2026 ein Fördersystem mit einem Rückzahlungsinstrument bzw. einer Rückforderungsvereinbarung für Einnahmen über dem Förderbedarf, eingeführt werden.
In der Wachstumsinitiative bekräftigte die Bundesregierung, in Zukunft auf einen technologieneutralen Kapazitätsmechanismus zu setzen. Dieser unterstützt einen versorgungssicheren Technologiemix aus Kraftwerken, Speichern und flexiblen Lasten. Außerdem sollte er einen wettbewerblichen Ansatz verfolgen und kostengünstige Versorgungssicherheit gewährleisten, indem er sich an zukünftige Entwicklungen und Unsicherheiten anpassen kann.
Ein dezentraler Kapazitätsmarkt zeichnet sich grundsätzlich durch die Verantwortung der Versorger aus, ihre Stromlieferungen durch zusätzliche Kapazitäten abzusichern. Dadurch steigt die Nachfrage nach solchen Produkten am Markt, die Absicherung kommt beispielsweise von steuerbaren Kapazitäten wie Kraftwerken oder Speichern. Der Nachteil an diesem Modell ist die vergleichsweise geringe Investitionssicherheit für kapitalintensive Investitionen.
In einem zentralen Kapazitätsmarkt dagegen wird der Bedarf an steuerbaren Kapazitäten zentral festgelegt und zur Auktion ausgeschrieben. Der Vorteil an diesem Modell sind langfristige Finanzierungsverträge von steuerbaren Kapazitäten, was für eine hohe Investitionssicherheit sorgt. Der Nachteil des zentralen Kapazitätsmarkt ist die erschwerte Reaktion auf die Flexibilität von E-Mobilität und Wärmepumpen und die allgemeine geringere Anpassungsfähigkeit. Im Optionenpapier sieht das BMWK einen Kombinierten Kapazitätsmarkt als optimale Lösung. Dabei handelt es sich um einen dezentralen Kapazitätsmarkt, der zusätzlich einige Elemente eines zentralen Kapazitätsmarktes beinhaltet. Vorteile dieser Lösung sollen vor allem langfristige Investitionssicherheit für besonders kapitalintensive Investitionen durch lange Vertragslaufzeiten von zentralen Ausschreibungen sein.
Ein Zusammenspiel aus Strommarkt und Stromnetz ist gefragt. Während der Netzausbau weiterhin oberste Priorität sein soll, um den steigenden Anteil erneuerbarer Energien zu bewältigen, sei diese Maßnahme allein nicht ausreichend. Stattdessen brauche es eine Kombination aus Netzausbau, leistungsfähigen und sicheren Redispatches und lokalen Signalen, die Anreize für Netzdienlichkeit bei Erzeugern, Verbrauchern und Speichern setzen. Im Optionenpapier geht es dabei vor allem um folgende Vorschläge:
Flexibilität ist ein wichtiges Stichwort, um die variable Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie optimal zu nutzen. So sollen flexible Verbraucher und flexible steuerbare Stromerzeuger sich gegenseitig ausgleichen. Vor allem in E-Mobilität, Wärmepumpen, Elektrolyse und Speichern kann durch Leistungsanpassung auf kurzfristige Schwankungen in der Stromerzeugung reagiert werden. Flexibilität auf Nachfrageseite soll somit einen vielfachen Nutzen haben: Einerseits profitieren alle von günstigen Strompreisen, wenn viel Wind- und PV-Strom vorhanden ist, andererseits sei die deutsche Wirtschaft dadurch wettbewerbsfähiger und die Versorgungssicherheit werde günstiger gewährleistet.
Da aktuell aber noch Hindernisse bestehen, die Investitionen in Flexibilität verhindern, gibt es im Optionenpapier drei Vorschläge:
In erster Linie sollen diese Vorschläge Anreize schaffen, den Stromverbrauch in Zeiten eines hohen Angebots zu verschieben. Somit profitieren Endkunden von niedrigeren Strompreisen und das Stromnetz würde entlastet werden.
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Schon im Juli wurde erste Kritik an den Plänen des Bundesministeriums geäußert, insbesondere gegen das Modell des kombinierten Kapazitätsmarktes. In anderen europäischen Ländern gibt es zwar bereits Kapazitätsmärkte, jedoch noch kein Modell, das einen dezentralen und einen zentralen Markt kombiniert. So hat Frankreich zum Beispiel seit 2017 einen dezentralen Kapazitätsmarkt, in Belgien, Großbritannien und Italien gibt es zentrale Kapazitätsmärkte.
Im September 2024 haben die beiden Denkfabriken EPICO und Aurora Energy Research eine gemeinsame Analyse des deutschen Strommarkts veröffentlicht. Darin gehen sie auf die Fähigkeit von zentralen und kombinierten Kapazitätsmärkten, flexible und klimafreundliche Technologien effizient zu integrieren, ein. Sie äußern außerdem Bedenken, große Kraftwerke zu bevorzugen und somit Innovation auszubremsen. Oberflächlich stimmen EPICO und Aurora dem favorisierten Modell des BMWK zu, es sei das ideale Modell, um die Probleme eines zentralen Kapazitätsmarktes anzugehen.Allerdings ergeben sich bei genauerer Betrachtung mehrere Probleme:
Der Gegenvorschlag von EPICO und Aurora: „Der Kapazitätsmechanismus sollte von Anfang an auf bewährten Best Practices aus anderen EU-Ländern aufbauen.“ So könne man sich an den bewährten Modellen orientieren und den Markt zu einem späteren Zeitpunkt immer noch durch dezentrale Elemente ergänzen.
Laut den Vorstandsvorsitzenden der größten Energiekonzerne zeigen die Beispiele aus den anderen Ländern außerdem, dass zentrale Kapazitätsmärkte in der Lage sind, effizient die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das vom BMWK vorgeschlagene Modell eines kombinierten Kapazitätsmarktes sei demnach zu komplex und führe zu Überregulierung. Außerdem besteht auch hier die Sorge, dass es noch kein reelles Vorbild für einen Kombinierten Kapazitätsmarkt gebe.
Andere Kritik richtet sich gegen das Modell eines Kapazitätsmarktes an sich. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Connect Energy Economics, die am 9. Juli 2024 veröffentlicht wurde, sei besonders bei einem dynamischen Markt mit hohem Anteil an Erneuerbaren Energien ein selektiver Kapazitätsmechanismus nicht geeignet, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Dieser sei zu anfällig für politische Einflussnahme und würde den Wettbewerb verzerren, indem andere Technologien verdrängt werden.
Ein ähnliches Problem sieht die Studie bei dezentralen und kombinierten Kapazitätsmechanismen. Diese müssten nach und nach politisch nachjustiert werden und würden sich damit zentralen Kapazitätsmärken annähern. Auch zentrale Kapazitätsmärkte sieht die Studie kritisch. Diese müssten umfangreiche Regelungen beinhalten, um einen Ausgleich zwischen Marktmachtbegrenzung und Investitionsanreizen herzustellen. Das reize wiederum politische Einflussnahme und führe zu Nachregulierungen, was letztendlich zu großer politischer Ungewissheit am Strommarkt führe.