Nach monatelangen Reibungen ist der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine final eskaliert. Staatspräsident Wladimir Putin hat am gestrigen Tage die Entsendung russischer Truppen in die Ukraine angeordnet, somit befinden sich nach der Krim-Annexion 2014 erneut militärische Einheiten Russlands im ukrainischen Nachbarland.
Diese Entwicklung birgt nicht nur offensichtliche politische und humanitäre Konsequenzen, sondern geht auch mit direkten energiewirtschaftlichen Auswirkungen einher. Schon jetzt haben Deutschland und andere Mitgliedsstaaten der NATO massive ökonomische Sanktionen gegen Russland verhängt – unklar ist noch, ob dies etwaige Gegenmaßnahmen nach sich ziehen wird.
Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Lage und prognostizieren, was das für Verbraucher in Deutschland bedeutet.
Auch wenn eine eindeutige Vorhersage angesichts der Schnelllebigkeit der Ereignisse kaum seriös wäre, so ist ein kompletter Stopp der Gaslieferungen Russlands an den Westen nach jetzigem Stand äußerst unwahrscheinlich. Sicherheit bieten langfristige vertragliche Vereinbarungen; bisher gibt es keine Indizien dafür, dass Russland diese nicht einhalten will. Das war auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht anders:
Das liegt vor allem an eigennützigen Erwägungen, denn die wirtschaftlich angeschlagene Großmacht ist auf Einnahmen aus dem Energieverkauf angewiesen. In den letzten Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt Russlands um etwa ein Drittel gesunken: Nicht nur deshalb dürfte Russland nur schwer auf die mit Gas erlösten Geldmittel verzichten können. Einschätzungen des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zufolge würde ein Gasembargo Russland auf volkswirtschaftlicher Ebene gar deutlich stärker treffen als Deutschland.
Sollte Russland einen Lieferstopp als politisches Instrument einsetzen wollen, so wäre dieses Worst-Case-Szenario allerdings nicht auszuschließen. Doch auch in diesem Fall müssen sich Verbraucher keine Sorgen machen, dass sie im nächsten Winter frieren müssen. Zwar ist Russland in der Tat eine Hauptquelle für hierzulande verbrauchte Energie, etwa 55 Prozent des hierzulande verbrauchten Erdgases stammt aus Russland.
Dennoch gibt es für Deutschland zahlreiche weitere Möglichkeiten, um an Gas zu gelangen: Schon heute sind Norwegen und die Niederlande wichtige Lieferanten, hinzu kommen geringfügige Reserven aus heimischem Boden. Darüber hinaus kann Deutschland Lücken in der Gasversorgung mit dem Import von Flüssiggas (LNG) decken, gerade die Vereinigten Staaten sind hier ein wichtiger Handelspartner. Obendrein gibt es Gespräche mit anderen Staaten wie etwa Katar.
Für Aufsehen sorgte des Weiteren die Entscheidung der Bundesregierung, die Inbetriebnahme der ohnehin umstrittenen Nord-Stream 2-Pipeline auf Eis zu legen. Dieser Beschluss dürfte allerdings kaum handfeste Folgen mit sich bringen, schließlich hat besagte Pipeline bisher noch überhaupt kein Gas transportiert.
Ein Lieferstopp Russlands hätte trotzdem massive Auswirkungen, gerade für Unternehmen. Besonders betroffen wären dann energieintensive Industrien wie etwa die Chemiebranche, im schlimmsten Fall könnte es sogar zu der Abschaltung von Fabriken kommen.
Für Privatverbraucher könnte sich der Russland-Ukraine-Konflikt indessen vor allem im Geldbeutel bemerkbar machen. Schon zu Wochenbeginn äußerte sich der frühere russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew auf Twitter mit drastischen Worten: „Herzlich willkommen in einer neuen Welt, wo die Europäer bald schon 2000 Euro pro Kubikmeter Gas zahlen werden!“ (Gemeint waren 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter.)
Damit diese Drohung Realität wird, müsste sich aktuelle Erdgaspreis an der Börse mehr als verdoppeln. Vollends unrealistisch ist das nicht, schon 2021 hatte sich der Großhandelspreis mehr als verfünffacht. Dies war allerdings vor allem auf einen unvorhergesehenen wirtschaftlichen Rebound infolge der abklingenden Corona-Pandemie zurückzuführen – derartige fundamentale Verschiebungen von Angebot und Nachfrage sind mittelfristig nicht zu erwarten.
Demnach dürften Medwedews Ankündigungen vermutlich ein beträchtliches Maß an Übertreibung beinhalten. Das sähe bei einer starken Drosselung oder gar einem kompletten Stopp der Gaslieferungen jedoch ganz anders aus. Schwer abzuschätzen ist zudem, wie stark der Weltmarkt auf das Kampfgeschehen reagieren wird; erfahrungsgemäß sind militärische Konflikte ein eminenter Preiskatalysator.
Das wäre für Energiekunden besonders schmerzhaft, schließlich befinden sich die Gaspreise für Privathaushalte ohnehin im Höhenflug. Selbst ohne zusätzliche politische Brisanzfaktoren müssen sich Verbraucher in den nächsten Jahren daher auf beträchtliche Preiserhöhungen einstellen. Ein entscheidender Faktor ist hier auch die steuerliche CO2-Abgabe: Betrug diese im Einführungsjahr 2021 noch 25 Euro pro Tonne, so wird dieser Wert bis 2025 auf 55 Euro pro Tonne ansteigen. Energiekunden wird deswegen ein regelmäßiger Gaspreisvergleich empfohlen, denn gerade aufgrund dieser Preisschraube lohnt sich die Suche nach dem optimalen Gastarif. So kann schon ein Haushalt mit durchschnittlichem Gasverbrauch jedes Jahr hunderte Euro einsparen.
Bereits jetzt bezieht Deutschland einen beträchtlichen Anteil seiner Erdgaseinfuhren aus anderen Ländern als Russland. Um die Abhängigkeit von russischen Gasanbietern wie Gazprom zu verringern, muss jenes Handelsnetzwerk in den nächsten Jahren ausgebaut werden, gerade nordafrikanischen Ländern wie Ägypten könnte hierbei eine entscheidende Rolle zukommen. Auch weitere Flüssiggasimporte könnten zur Lösung beitragen; hierfür wird der Bau eines entsprechenden Terminals zur Anlandung der Rohstoffe diskutiert.
Diese Maßnahmen können aber nur unterstützende Funktion einnehmen, der Schlüssel zu einer unabhängigen Energieversorgung liegt woanders. Schon jetzt sind erneuerbare Energien für mehr als 40 Prozent der gesamtdeutschen Stromeinspeisung verantwortlich – dieser Anteil muss in den nächsten Jahren weiter ansteigen, und zwar deutlich. Auch stärkere Investitionen in ökologische Technologien (z. B. grüner Wasserstoff) können dazu beitragen, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu verringern. Davon profitiert nicht nur die Umwelt, sondern auch der Verbraucher, denn die Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen ist billiger als die Gewinnung durch fossile Brennstoffe. Wechselpilot-Gründer Jan Rabe appelliert deswegen: „Deutschland sollte die Ukraine-Krise als Chance begreifen, die längst überfällige Energiewende voranzutreiben. Erneuerbare Energien sind die günstigste, effektivste und nachhaltigste Lösung – sowohl auf politischer als auch ökologischer Ebene.“